Wir veröffentlichen die Übersetzung dieses Aufsatzes mit der freundlichen Genehmigung der Autorin Venus Munir, einer Schriftstellerin und Notärztin aus Melbourne, Australien.

Bereits vor einem Jahr geschrieben, wurde er erst jetzt veröffentlicht.

Sie weist direkt zu Beginn darauf hin, dass einige der beschriebenen Szenen den einen oder anderen Leser unangenehm ansprechen, weil sie Verweise auf Tierquälerei und die Beschreibung solcher enthalten. Der Originalaufsatz kann unter http://venusianmoon.com/2015/05/09/animal-lab/ nachgelesen werden.

Es sei darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem Aufsatz nicht um eine Fiktion handelt. Die Autorin hat daher die entsprechenden Stellen durch Verweise auf Textstellen und andere Dokumente durch * markiert. Die Zahlen verweisen auf die Quellen, die am Ende aufgelistet sind.

Nun werden Sie vielleicht sagen „ja in Australien, das ist weit weg und  ….“ Aber überlegen Sie bitte, dass das Gleiche hier durchaus in Europa geschieht. Vielleicht nicht so extensiv, aber dennoch. Belege, dass britische Universitäten …. Aber wir wollen nicht vorgreifen, lesen Sie selbst!

Tierlabor

An einem ganz normalen Samstagmorgen gehen die meisten Einwohner von Melbourne ihrer üblichen Routine nach:  bringen ihre Kinder zum Fußballtraining, ziehen mit ihrem Einkaufswagen über den Markt, gönnen sich ein Katerfrühstück in einem lokalen Cafe.

Für eine Gruppe junger Doktoren, die eine Allee aus blauen Steinen in Firtroy entlang gehen, ist es kein gewöhnlicher Samstag. Die hohen Gebäude sorgen dafür, dass es hier immer dunkel ist, unabhängig von der Jahreszeit. Es ist düster und erinnert an Szenen aus “Jack the Ripper”. Die meisten fürchten sich vor dem, weshalb sie hier sind. Der Ausbilder klingelt an einer nicht markierten Tür. Eine Frau in weißem Overall lässt sie herein und fordert sie auf, ihre Kleidung gegen Operationskleidung zu wechseln.

“Telefone und Kameras sind nicht erlaubt”, sagt sie.

Jeder der hier anwesenden Mediziner hofft ein Chirurg zu werden. Der Kurs, den sie hier besuchen, bildet die Voraussetzung für ihre weitere chirurgische Ausbildung. Sie sind gewarnt worden, dass der Kurs die “Durchführung von chirurgischen Eingriffen an einem lebenden Tier beinhaltet”.1

Sie betreten ein Labor, das eher an eine Episode aus “Navy CIS” als an einen Operationssaal erinnert. Sechs schlafende Hunde liegen da. Es sind Greyhounds, lebend aber schlafend. Sie liegen unnatürlich auf dem Rücken, die Beine und ein Teil des Brustkorbes sind mit grünen OP-Tüchern abgedeckt. Das rhythmische Zischen der Beatmungsgeräte durchbricht die Stille.  Es gibt keine Geräte, die regelmäßig “ping” machen und es gibt auch keine Hektik von Krankenschwestern und Anästhesisten. Nur künstlich beatmete Hunde auf Platten.

Die Teilnehmer an dem Kurs fühlen sich unwohl. Die Greyhounds fühlen sich wahrscheinlich schlimmer. Sie schlafen, sind aber keineswegs vollständig betäubt. Das heißt, sie haben ein Schlafmittel, wahrscheinlich Ketamin, bekommen, aber nichts, um Schmerzen zu unterdrücken. Ihre Brust wird aufgeschnitten. Die Lungen bewegen sich im Rhythmus des Ventilators. Die Herzen schlagen offen.  Es gibt keine Überwachung der Organe wie bei echten Operationen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Greyhounds schwere Schmerzen leiden, da ihr Stress aber nicht gemessen wird, werden diese einfach ignoriert.

Es gibt vieles, was in diesem Labor falsch ist. An erster Stelle die Frage, warum lebendige Windhunde in einem Kurs verwendet werden, wo es um menschliche Trauma- Patienten geht? Als Arzt glaube ich, dass diese Praxis nicht nötig ist und durch andere Methoden längst abgelöst ist. Als tierlieber Mensch bin ich von der Grausamkeit dieses Handelns entsetzt. Als Halter eines ausgemusterten Geyhounds, bin ich verärgert darüber, dass diese sanften, edlen Hunde als Rohstoffe dienen, einfach weggeworfen nach ihrem Leben als Rennhund.

So ist das Leben der Renn- Greyhounds. Glücksspiel mit Hunderennen, Hasenjagd und Hürdenrennen haben zu einer explosiven Züchtung geführt. Geschätzte 20.000 Greyhounds werden jedes Jahr in Australien gezüchtet. Im Durchschnitt verbringen die Hunde ein bis 2 Jahre im Renngeschäft, abhängig davon wie erfolgreich sie sind, oder ob sie verletzt werden. Was geschieht mit all diesen Hunden?

Auf der anderen Seite arbeiten Windhundrettungsgruppen überall im Land und suchen für die Tiere Adoptanten. Aber sie können sich nur um die Spitze des Eisberges kümmern. Wenn es hoch kommt sind das 4 bis 5 % der gezüchteten Windhunde. Mein Hund ist einer der Glücklichen, der über das Adoptionsprogramm in Victoria, GAP, zu mir gekommen ist.

Erfolgreiche Hunde und Greyhound- Mädchen werden für die Zucht behalten. Der Samen von männlichen Greyhounds wird für eine künstliche Befruchtung eingefroren. Der “Vater” meines Hundes hat über 500 bekannte Nachkommen. Weniger gut geht es den Weibchen, die als Gebärmaschinen benutzt werden.  Einige Greyhounds werden zur Blutspende eingesetzt und mit Glück später adoptiert.

Auf der anderen Seite werden geschätzte 17.000 Greyhounds jedes Jahr in Australien getötet2  und trotzdem dulden wir als Gemeinschaft Windhundrennen, als familienfreundliche Unterhaltung, unabhängig von den barbarischen Praktiken, die eng mit der Industrie verbunden sind.

Die beunruhigende Wahrheit ist, dass die meisten Windhunde getötet werden, einige auf humane Art, einige nicht. Tierärzte, die bei den Rennen eingesetzt sind, gestehen ein, dass sie bis zu vier Hunden pro Rennveranstaltung euthanasieren3, weil sie wissen, dass sie, durch die erlittene Verletzung während des Rennen, für ihre Besitzer wertlos geworden sind.

In einem Interview, das ABC’s Radio National im Jahr 2012 mit dem Tierarzt Ted Humphries führte, sagte dieser: “Wenn wir sie nicht auf humane Weise einschläfern, tun dies oft die Besitzer auf weniger humane Weise durch erschießen, aufhängen, vergasen, ersäufen ….. Ich denke manchmal erschlagen sie sie auch.”3 Die Kadaver werden oft illegal in einem Massengrab verscharrt oder in Flüsse geworfen, ihre Ohren werden abgeschnitten um die Identifizierung durch die Ohrtätowierungen zu verhindern. Eine große Zahl von Welpen werden getötet, bevor sie überhaupt das Erwachsenenalter erreichen.2

Einige Hunde, die für australische Erwartungen zu langsam sind, werden nach China, Macao und Südkorea verkauft. Angeblich sollen sie dort an Rennen teilnehmen2, in Wirklichkeit werden sie aber als Fleischlieferant für den menschlichen Konsum enden4 und auf inhumane Weise getötet werden. Die meisten Australier scheuen sich Hundefleisch zu essen, besonders weil Hunde unsere Lieblingshaustiere sind; aber in Ländern, wo Armut herrscht, wird Hundefleisch als Delikatesse hoch geschätzt. Es macht Sinn: Hunde können schnell herangezüchtet werden und sind eine billige Proteinquelle.

Greyhounds werden auch in wissenschaftliche und medizinische Forschungseinrichtungen verkauft, wo jedes Jahr eine große Menge getötet wird. Besonders hervorzuheben ist der Einsatz von lebendigen Windhunden für Reanimationskurse für menschliche Komapatienten.

Das Royal Australasian College of Surgeons (RACS – Königliche Schule für die Ausbildung von Chirurgen)  ist eine in Melbourne angesiedelte Institution, die die Ausbildung und Zulassung von Chirurgen für ganz Australien betreut. Die Grundausbildung schreibt die Teilnahme an einem Kurs zur frühzeitigen Behandlung eines schweren Traumas (Early Management of Severe Trauma (EMST) vor. Dieser Kurs zielt darauf ab, die Trauma- Behandlung in den ersten 1 bis 2 Stunden nach einem Unfall zu erlernen. 5,6

Ein Teil des 2 ½- tägigen Seminars, bekannt als “Tierlabor”, dreht sich um Übungen zum “Betäuben” von Greyhounds. RACS argumentiert, dass es wichtig wäre, “lebendiges Gewebe” und nicht Leichen oder Puppen für die Übung zu verwenden. Es scheint, dass im Namen der Rettung von Trauma- Patienten hunderte von Windhunden geopfert werden.

McEwan und Skandakumar (2013)2 erklären: “Unter den momentanen Tierschutzgesetzen in Australien ist die Tötung eines Hundes nicht strafbar, solange die Tötung keine unnötigen Leiden und Quälereien mit sich bringen.”

Ich würde behaupten, dass der Einsatz von Tieren bei einem Kurs, bei dem es um die Behandlung von Trauma- Verletzungen bei Menschen geht, und bei dem die Betäubung des Tieres nicht überwacht wird, wohl eine Grausamkeit darstellt.

Dr. G ist Notfallmediziner und EMST Lehrer, ursprünglich aus England kommend. Er sagt, dass Australien das einzige Land ist, wo Greyhounds für diese Art der Ausbildung benutzt werden. In den USA werden Schafe benutzt, während in Europa der Einsatz von Tieren grundsätzlich nicht in Frage kommt. Die meisten Länder verabschieden sich davon, lebendige Tiere für Ausbildungszwecke zu missbrauchen. Dr. G glaubt, dass die meisten Handgriffe adäquat an Puppen, Simulatoren oder im schlimmsten Fall an Teilen von Tieren geübt werden können. Er lehrt auch Advanced Paediatric Life Support (APLS – Pädiatrische Maßnahmen), wo ein ähnliches Prozedere erfolgreich an Kinderpuppen geübt wird. Während der Einsatz von “realem Gewebe” hilfreich ist, hält er aber das Szenarium im EMST für unrealistisch.

“Es ist ein narkotisierter Hund, kein Mensch. Es gibt keine Überwachung, um z.B. eine Wiederbelebung zu simulieren bzw. zu trainieren. Die Brustwand des Hundes ist etwa einen Zentimeter dick, das ist etwas ganz anderes als bei einem Menschen“, erzählte er mir.

All die Prozesse, die an den Hunden gelehrt werden, können heutzutage besser und sicherer unter Ultraschallkontrolle in Notfallabteilungen durchgeführt werden. Im reellen Leben ist dies gängige Praxis. Einige der hier gelehrten Techniken wurden komplett durch neue Verfahren abgelöst.

Dr. G hat als Ausbilder im  “Tierlabor” aufgehört, weil er es nicht mehr ertragen konnte. Er hat Bedenken, dass die Betäubung und die Überwachung der Hunde nicht ausreichend sind.  Mehr als die Hälfte der Ausbilder für EMST lehnen die Ausbildung im “Tierlabor” aus moralischen Gründen ab, und die Auswertung der Rückmeldungen von Teilnehmern ist überwiegend negativ. Er berichtet davon, dass viele Teilnehmer entsetzt sind, aber aus Angst die Ausbildung zum Chirurgen nicht fortsetzen zu können, schweigen.

Dr. H praktiziert als Chirurg in England und Australien, aber ist nun Notfallarzt. Früher hat sie EMST gelehrt. Aus Sicht eines Chirurgen bestätigt Dr. H, dass die Erfahrung mit lebenden Tieren mehr die Erfahrung mit einem wirklichen, lebendigen Gewebe erlaubt. Die Wärme, Geschmeidigkeit und Blutungen können nicht bei einem Kadaver oder bei den derzeit verfügbaren Modellen simuliert werden. Wie Dr. G lehrt sie nicht mehr im Tierlabor und kommentiert es so: “Niemand mag es.” Während sie sieht, dass die RACS es betont, ist ihre Meinung klar: “Es ist überholt und die Menschen sollten nicht dazu gezwungen werden.” Sie glaubt, dass alle Verfahren, die beim EMST gelehrt werden mittlerweile durch hoch qualifizierte Simulationen ersetzt werden können.

Dr. H erklärt, “Der wichtigste Teil der Ausbildung betrifft die Entscheidung über die Vorgehensweise. Das Vorgehen als solches ist nicht so schwierig. Eine gute Simulation ist genauso gut, wie das Training an einem lebenden Tier.”

Auf der Internetseite des RACS sind für 2014 81 EMST Kurse verzeichnet.6  Bedenkt man, dass vier bis acht Greyhounds pro Kurs verwendet werden, heißt das, dass zwischen 300 und 600 Greyhounds jedes Jahr unnötig traumatisiert und getötet werden. Nur zwei Zentren bieten EMST ohne den Einsatz von Tieren an. Hier kommen Puppen zum Einsatz.  Diese Kurse sind sehr stark nachgefragt und es gibt Wartelisten bis über zwei Jahre.

Die Internetseiten von RACS und EMST (2014) sprechen nicht offen darüber, dass sie lebendige Greyhounds benutzen. Es gibt nur ein kleines Kästchen zum Abhaken auf dem Anmeldeformular für einen EMST Kurs: “Ich bin mir bewusst, dass ich als Teil des Kurses u.U. einen chirurgischen Eingriff an einem lebenden Tier vornehmen muss.”7 Dr. G sagt, dass viele ankommende Teilnehmer dies nicht wissen und erst vor dem Kurs davon erfahren. Warum wird ein Geheimnis daraus gemacht?

Dr. G kommentiert: “Es ist alles sehr streng geheim, weil sie wahrscheinlich nicht wollen, dass Tierschützer vor der Türe protestieren.“

Ist dies das Eingeständnis, dass das, was sie den Windhunden angetan haben, moralisch und ethisch falsch ist?

Es ist Essenszeit, als die Gruppe der zukünftigen Chirurgen das “Tierlabor” verlässt, aber niemandem ist nach essen zumute. Die menschliche Natur muss es wohl als verwerflich ansehen, Hunde einfach so, an einem sonst ganz normalen Samstagmorgen zu töten.

Verfahren abgeschlossen, Kästchen angekreuzt, die Greyhounds werden jetzt eingeschläfert. Sie haben ihr Soll erfüllt. Der Körper ist zerstört, die Abfallhunde erliegen der tödlichen Injektion, „der grüne Traum“. Sie werden nie wieder ihre Beine anspannen und mit Höchstgeschwindigkeit laufen oder Hasen jagen. Weggeworfen wie leere Flaschen, zu schmutzig und zu kaputt um noch einmal  verwendet zu werden.

Nachtrag: Die Autorin hat weder an den hier beschrieben Praktiken EMST teilgenommen, noch diese gelehrt. Alle Beschreibungen basieren auf Interviews mit den Doktoren G und H, die als zuverlässige Quelle gelten. Ihre Namen wurden aufgrund von Zusagen zur Vertraulichkeit abgekürzt.

Bibliografie

  1. RACS 2014 EMST Formular
    http://www.surgeons.org/for-health-professionals/register-courses-events/skills-training-courses/emst/emst-registration-australia/ Status und Zugriff am 16. Mai 2014
  2. McEwan A. Skandakumar K. The welfare of greyhounds in Australian racing: has the industry run its course? Australian Animal Protection Law Journal Dec 2011:15 July 2013 version
  3. McDonald T. The quick and the dead. Transcript from ABC Radio National program Sun Nov 11, 2012. http://www.abc.net.au/radionational/programs/backgroundbriefing/2012-11-11/4355398#transcript Status und Zugriff am 16. Mai 2014
  4. Against Animal Cruelty Tasmania Internetseite 2012 http://www.aact.org.au/greyhounds.htm Status und Zugriff am 16. Mai 2014
  5. RACS Internetseite http://www.surgeons.org/ Status und Zugriff am 16. Mai 2014
  6. EMST Internetseite http://www.surgeons.org/for-health-professionals/register-courses-events/skills-training-courses/emst/ Status und Zugriff am 16. Mai 2014
  7. EMST Zeitplan 2014  http://www.surgeons.org/media/20027295/2013-05-13_lst_emst_2014_schedule_provider_aus.pdf Status und Zugriff am 16. Mai 2014
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